Über die Gletscher, den Klimawandel und neu entstehende Landschaften

Gletscher und Permafrost sind dem Klimawandel ausgesetzt. Knapp 4.400 Gletscher gibt es in den Alpen. Noch – denn aufgrund der Erderwärmung verschwindet das scheinbar »ewige Eis«. Die Alpen verändern sich. Dabei ist die Gletscherschmelze kein heutiges Phänomen. Doch noch nie ging schmolzen die Gletscher so schnell wie im heutigen, menschengemachten Klimawandel.

Bernhard Edmaier, Geologe und Fotograf, und Angelika Jung-Hüttl, Geologin und Wissenschaftspublizistin, beschäftigen sich seit vielen Jahrzehnten mit dem Thema Gletscher im Klimawandel.

Wir haben mit den beiden gesprochen.


Lest hier das Interview über die Gletscher im Klimawandel:

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Frau Jung-Hüttl, Herr Edmaier, gleich zu Anfang gefragt: Ist das Schmelzen der Gletscher ein neues Phänomen des heutigen Klimawandels?

Angelika Jung-Hüttl: Es hat in den Alpen in der Vergangenheit immer wieder Zeiten gegeben, in denen die Gletscher zurückgeschmolzen sind. Besonders stark war der Eisschwund etwa nach jeder der großen klassischen Kaltzeiten – der Günz-, Mindel-, Riß- und Würmeiszeit. Aber auch während der Warmzeit, in der wir seit etwa 11 500 Jahren leben – dem sogenannten Holozän gab es Phasen, in denen die Gletscher kleiner waren als heute.  Während der Jungsteinzeit vor etwa 7000 Jahren etwa, oder auch noch vor etwa 5000 Jahren, als Ötzi, der berühmte Mann aus dem Eis, in den Alpen unterwegs war und dabei umkam.

Was ist der Unterschied zur Gletscherschmelze in früheren Jahrtausenden? 

Angelika Jung-Hüttl: In historischer Zeit sind nach wissenschaftlichen Erkenntnissen die Gletscher in den Alpen noch nie so schnell zurückgeschmolzen wie jetzt während des aktuellen, auch vom Menschen angestoßenen Klimawandels, genauer seit den 1990iger Jahren.

Die Gletscher in den Alpen sind noch nie so schnell zurückgeschmolzen wie jetzt.

Angelika Jung-Hüttl

Eisrandsee des Rhonegletschers – Foto (c) Bernhard Edmaier aus dem Bildband »AlpenEis«

Schon im Hitzesommer 2003 hatte sich erstmals Schmelzwasser am Zungenende des Gletschers gestaut. Die vom Eis selbst ausgetiefte Wanne wurde durch den Eisrückzug von Jahr zu Jahr größer. 2006/2007 entstand ein See, der sich seither stetig ausweitet. Oft brechen Eisberge von der Gletscherfront ab und treiben im Wasser, bis sie geschmolzen sind (Aufnahme vom September 2010).

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Sie machen seit etwa 30 Jahren Fotos von den Alpen-Gletschern. In Ihrem Bildband sind nun auch viele ganz aktuelle Bilder aus dem Jahr 2021. Inwieweit unterscheiden sich diese von Bildern, die 10, 20 oder 30 Jahre alt sind?

Bernhard Edmaier: Die Eismassen sind sichtbar kleiner geworden. Die Gletscher haben nicht nur an Fläche oder Länge, sondern auch an Dicke verloren. Felspartien kommen zum Vorschein, wo früher nichts war als Eis.  Und es gibt eine Menge mehr kleine Seen in den Bereichen, in denen das Eis zurückgewichen ist.

Wo in den Alpen ist Ihrer Ansicht nach besonders gut sichtbar, dass die Gletscher schmelzen? Was genau ist dort zu sehen?

Bernhard Edmaier: An der Pasterze zum Beispiel, dem größten Gletscher von Österreich mitten im Nationalpark Hohe Tauern, ist die Gletscherschmelze deutlich sichtbar. Dieser Gletscher ist bequem mit dem Auto zu erreichen über die Großglockner-Hochalpenstraße – und er ist von der Franz-Josef-Höhe, dem Endpunkt der Straße, aus gut zu überblicken. Das Eis der Pasterze hat noch um 1980 den gesamten Talboden unterhalb des Großglockners überdeckt. Heute liegt dort ein 2,5 Kilometer langer See, bis zu 48 Meter tief, in dem Eisberge treiben. Der Eisschwund seit 1850 ist auch in Schautafeln sehr gut dokumentiert.

Das Eis der Pasterze hat noch um 1980 den gesamten Talboden unterhalb des Großglockners überdeckt. Heute liegt dort ein 2,5 Kilometer langer See.

Bernhard Edmaier

Pasterze, Hohe Tauern Österreich im September 2021. © Bernhard Edmaier aus dem Bildband »AlpenEis«

Blick auf die Pasterze, den größten Gletscher Österreichs: Die seitlichen Zuflüsse im Hufeisenbruch haben die Verbindung zum Eisstrom der Pasterze verloren. Die Gletscherfront ist stark zurückgeschmolzen. Wo das Ende der Eiszunge lag, erstreckt sich heute ein See.

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Was passiert, wenn die Gletscher schmelzen, das ewige Eis nicht mehr ist? Was macht das mit der Landschaft?

Angelika Jung-Hüttl: Zuerst einmal verändert es unser gewohntes Bild von den Alpen, das ja stark geprägt ist von schneeweißen, in der Sonne glitzernden Berggipfeln und den Gletscherzungen, die sich von dort in die Täler hinunterziehen. Die schmelzenden Gletscher legen kahle Felswände frei und hinterlassen und auch eine Menge Schutt. Ihre Randbereiche und Vorfelder gleichen zunächst Steinwüsten, die jedoch bald schon von Pflanzen besiedelt werden. Die Waldgrenze wird um einige Hundert Meter nach oben wandern. Das heißt, die Berge werden zunächst kahler, später aber auch grüner.

Wenn es Phasen mit Gletscherschmelze früher schon gab – warum müssen wir uns heute darüber Sorgen machen? Welche Auswirkungen auf unsere Umwelt hat die Gletscherschmelze?

Bernhard Edmaier: Neben dieser gerade erwähnten visuellen Veränderung hat diese klimabedingt sehr rasche Eisschmelze auch ganz konkrete wirtschaftlichen Folgen. Mit den Gletschern schwindet allmählich auch das Wasserangebot für die Landwirtschaft wie im Obst- oder Weinanbau, zum Beispiel im Vinschgau oder im Wallis, und für die Energiewirtschaft bei der Erzeugung von Strom. Besonders trockene Sommer hatten ja bereits in den vergangenen Jahren Auswirkungen auf die Flussschiffahrt, etwa auf dem Rhein.

Mit den Gletschern schwindet allmählich auch das Wasserangebot.

Bernhard Edmaier

Ghiacciaio dei Forni, Ortlergruppe, Italien. © Bernhard Edmaier aus dem Bildband »AlpenEis«

Auch am Fornigletscher zeigt sich die zunehmende Klimaerwärmung deutlich. An der teilweise von Moränenschutt überdeckten Gletscherfront ist das Eis von konzentrischen Spalten durchsetzt. Es wurde dort vom Schmelzwasser von unten her ausgespült und sackt deshalb in einem gigantischen Trichter ein. Eine Gruppe von Bergsteigern am Rand des  Loches verdeutlicht die Dimensionen (Aufnahme vom Juli 2021).

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Schon jetzt sind viele alpine Routen gefährlicher geworden im Vergleich zu früheren Jahren aufgrund von mehr Steinschlag. Ist das tatsächlich auch eine Folge des Klimawandels?

Angelika Jung-Hüttl: Ja, vor allem in den Hochlagen über 2500 bis 3000 Metern kommt es deshalb zu mehr Steinschlag, weil der Permafrost – also das Eis im Untergrund, das in Ritzen und Poren im Gestein steckt und den Fels oder den Boden wie ein Kleber stabilisiert – aufgrund der steigenden Temperaturen in den Sommermonaten in stärkerem Maße auftaut als früher. Das ist ein großes Problem, zum Beispiel auch am Matterhorn. Die vielen Steinschlagereignisse dort sorgen jedes Mal für Schlagzeilen. Der Berg wird deshalb auch ständig überwacht.

Ihr neuer Bildband »AlpenEis« zeigt eindrucksvoll die Veränderungen der Gletscher. Wie viele Jahre Arbeit stecken in diesem Buch?

Bernhard Edmaier: Das ist schwer zu sagen. Etwa die Hälfte der Bilder haben wir ja schon früher im Rahmen anderer Fotoprojekte gemacht. Zum Beispiel für den Bildband »Kunstwerk Alpen«, der 2012 beim Rother-Bergverlag erschienen ist. Die aktuellen Aufnahmen von 2020 und 2021, die in »AlpenEis« zu sehen sind, haben wir jeweils in den Sommermonaten während mehreren Reisen in die Alpen produziert. Die Bildauswahl für das Buch, das Aufbereiten der Bilddaten sowie das Verfassen des Textes mit den dazugehörigen detaillierten Recherchen hat dann zusätzlich noch etwa fünf Monate Zeit in Anspruch genommen.

Ihre Bilder muten oftmals gar nicht wie Landschaftsfotografie, sondern vielmehr wie abstrakte Kunst an – ein wirklich einzigartiger Stil. Können Sie uns erzählen, wie Sie auf diese Art der Fotografie gekommen sind? Was ist das Besondere an Ihren Bildern?

Bernhard Edmaier: Das hat sich so ergeben. Alle diese Formen, die eine Landschaft ausmachen, sind ja das Ergebnis eines permanenten Wechselspiels von natürlichen Prozessen wie etwa Verwitterung und Erosion, von Tektonik, von Sedimentation oder im Fall der Gletscher von Vorstoß und Rückzug der Eismassen, von Tauen und Gefrieren, von Eisbildung und noch vieles mehr. Ich richte meine Kamera darauf, aus einem ganz bestimmten Blickwinkel, oft aus einem großen Abstand von Hunderten Metern bis zu Kilometern. Den bekommt man nur, wenn man mit einem Hubschrauber oder einem Kleinflugzeug in die Luft geht.

Alle diese Formen, die eine Landschaft ausmachen, sind das Ergebnis eines permanenten Wechselspiels von natürlichen Prozessen.

Bernhard Edmaier
Osterseen. Foto (c) Bernhard Edmaier
Osterseen. © Bernhard Edmaier

Osterseen, Bayerisches Alpenvorland, Deutschland. © Bernhard Edmaier aus dem Bildband »AlpenEis«

Toteisblöcke, die beim Rückzug des eiszeitlichen Isar-Loisach-Gletschers im Alpenvorland im Moränenschutt eingebettet eng nebeneinander liegen geblieben und später geschmolzen sind, haben die Senken für diese Seen geschaffen.

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Vielen Dank für das Interview.

Bernhard Edmaier ist Geologe und Fotograf. Seine teils abstrakt anmutenden, teils dokumentarischen Luftbilder von der Erde richten den Blick gezielt auf die unterschiedlichsten Strukturen unseres Planeten und haben neue Maßstäbe in der Landschaftsfotografie gesetzt. Die Geologie bildet die Basis seiner Fotografie. Ziel seiner Arbeit ist, die vielfältigen Farben, Formen und Strukturen, welche die Erde allein ohne Zutun des Menschen hervorbringt, zu visualisieren. Bernhard Edmaiers Bilder werden in Galerien ebenso gezeigt wie in Naturkundemuseen.
www.bernhard-edmaier.de

Angelika Jung-Hüttl ist promovierte Geologin und  Wissenschaftspublizistin. Seit mehr als 25 Jahren berichtet sie in namhaften Zeitungen und Zeitschriften über verschiedenste Naturphänomene sowie Umweltprobleme, und sie schreibt Bücher. Als Lebenspartnerin von Bernhard Edmaier reist und arbeitet sie auch immer wieder mit ihm zusammen, konzipiert mit ihm Fotoprojekte, verfasst die Texte zu seinen Fotobänden und organisiert seine Fotoausstellungen.

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Unser Buchtipp: »AlpenEis«

Cover Bildband AlpenEis

Der neue Bildband AlpenEis zeigt mit eindrucksvollen Bildern, wie der Klimawandel die Alpen verändert. Die Fotografien von Bernhard Edmaier, die hochkarätige Fotografie und Wissenschaft vereinen, zeigen die Gletscher im Klimawandel. In knappen, präzisen Texten erklärt dazu Angelika Jung-Hüttl, Wissenschaftspublizistin und Geologin, die Prozesse, die zu dem Landschaftswandel führen.

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Stöbert gerne auch in unserer Rubrik »Umwelt & Nachhaltigkeit«.
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Autor

Bettina ist im Rother Bergverlag für Presse und Marketing zuständig. Als Münchnerin ist sie liebend gern in den Münchner Hausbergen unterwegs, da diese nicht nur schnell erreichbar, sondern perfekt für eine kurze Auszeit sind - sei es auf einer kleinen Feierabendtour oder auf einem ausgedehnten Hütten-Wochenende. Doch auch die Kombination aus Bergen und sonnigem Süden findet sie ziemlich reizvoll. Denn was ist schließlich schöner, als während oder nach einer Wanderung ins kühle Nass zu springen!

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