Ein Gastbeitrag von Rother-Autorin und Fotografin Iris Kürschner

Vom Luxus des einfachen Lebens

Wild und einsam fädelt sich die GTA – die Grande Traversata delle Alpi – durch die italienischen Westalpen. Ein Weg, um mit sanftem Tourismus der Landflucht entgegen zu wirken. Ein Weg, der deutlich macht, was wichtig ist im Leben. Und ein Weg, der auf jeder Etappe mit fantastischer regionaler Küche begeistert.

Immer wieder erreichen uns schöne Erfahrungsberichte von GTA-Wanderern. So simst uns eine Wanderin zum Beispiel: »Das Les Montagnards in Cornetti bei Balme war so unfassbar gut! Ich habe beim Panna Cotta geweint…«. Eine andere freut sich mit ihrem Partner über die aufmerksame und köstliche Bewirtung im Posto tappa von Didiero. Immer wieder pingt unser Handy. Wir lernen Katja aus dem Schwarzwald kennen. Seit ein paar Wochen schon ist das Mädel auf der GTA unterwegs und völlig begeistert. Man treffe so interessante Leute unterwegs. Ihr gefalle das Eigenleben der GTA. Denn man vernetzt sich, gibt seine Tipps weiter und nicht selten entstehen auch längere Freundschaften.

Die Alpe Buscagna im Parco Naturale Veglia Devero. Foto ©: Iris Kürschner
Die Alpe Buscagna im Parco Naturale Veglia Devero. © Iris Kürschner

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Wichtige Erfahrungen auf der GTA

Dieter und ich freuen uns, wieder ein Stück GTA (Grande Traversata delle Alpi) unter die Füße genommen zu haben. Es ist für uns ein Weg, der süchtig macht, weil die Mischung aus herzlicher Gastfreundschaft, guter Küche und Landschaftserlebnis einfach perfekt ist. Hinzu kommt die aufgeschlossene Stimmung der Wanderer. Mit manchen geht man einige Etappen gemeinsam, man trifft ja nicht viele und freut sich über Begegnungen. Fast wie eine große Familie.

Eine Begehung der GTA macht einiges bewusst. Beispielsweise, wie wertvoll Vielfalt ist und wie wenig uns Globalisierung gut tut. Wie viel besser unserer Gesundheit lokale Produkte und selbst gekochte Gerichte bekommen als industriell verarbeitete Lebensmittel. Wie wichtig soziale Kontakte, Toleranz und ein liebevolles Miteinander sind …

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Das Entstehen der GTA – ein Versuch, die kulturelle Vielfalt zu bewahren

Die GTA führt durch das größte Endsiedlungsgebiet der Alpen. Manche Täler verzeichnen einen Rückgang der Bevölkerung von über 80 Prozent. Viele zogen in die Ebene oder in die Städte, wo der italienische Staat mehr Geld investierte und das Leben müheloser erschien. Die Berglandwirtschaft brach ein. Mit der Einrichtung des Weitwanderwegs GTA Ende der 1970er Jahre wollte man dieser Landflucht entgegenwirken.

Man putzte die ehemaligen Arbeitswege der Bergbauern wieder frei und verknüpfte sie mit alten Säumer- und Schmugglerrouten, mit Militärwegen und königlichen Jagdsteigen. Keine neue Infrastruktur, sondern das vorhandene Historische sollte wieder genutzt werden und damit erhalten bleiben. Die Einnahmen durch die Wanderer sollten nicht irgendwelchen Investoren, sondern den Einheimischen direkt zu Gute kommen.

Für Dieter und mich ein Vorbild an nachhaltigem Tourismus. Der Erfolg zeigt sich bereits in einigen Tälern. Ehemalige Auswanderer kehren wieder zurück, bauen leerstehende Häuser zu kleinen Pensionen um oder kümmern sich um den Anbau alter Obst- und Gemüsesorten. Im Mairatal entstanden unter anderem Genepi-Plantagen. Mit dem Heilkraut stellt man leckere Liköre und Schnäpse her.

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Buschland und Geisterdörfer in den piemontesischen Bergen

Häufig aber sieht es in der Bergwelt des Piemonts anders aus. Einst mühsam dem Hang abgerungene, sorgsam gepflegte Acker- und Wiesenterrassen sind zu Buschland verkommen. Kleine Dörfer und Weiler verschwinden zunehmend im Wald. Nur dort, wo noch mit Vieh die Landschaft offen gehalten wird, bleibt die botanischen Vielfalt erhalten.

Das Leben spielt sich oft nur noch entlang der Hauptstraße im Tal ab. So auch im Valle dell’Orco auf der Südseite des Gran Paradiso Nationalparks. Denn dort zeigt die GTA auf der Etappe von Noasca nach Ceresole besonders anschaulich ein Stück tragischer Zeitgeschichte.

Eine kunstvoll gepflasterte Mulattiera klettert hinauf ins Vallone del Roc, an Trockenmauern vorbei, wo vielleicht einmal Roggen gedieh, zu einer ganzen Reihe von Geisterdörfern. Es ist unglaublich spannend dort herumzustöbern. Gleichzeitig schockierend. Manches Haus wirkt, als sei es Hals über Kopf verlassen worden. Da liegen Bücher und Hausrat herum, da steht noch eine offene Weinflasche auf dem Tisch. An der Wand lehnt eine rostige Sense. So als ob die Bewohner gerade eben noch da gewesen wären. Dabei liegen Jahrzehnte dazwischen.

Viele Dörfer entlang der GTA wurden zwischen den 1950er und 70er Jahren verlassen. Im Ruinendorf Maison hat man ein Schulzimmer original getreu wieder hergerichtet. Ansonsten Trümmer und Ruinen. An den Fenstern hängen Spinnweben. Hinter einer blinden Verglasung lächelt eine Madonnenfigur. Der Putz blättert bunte Heiligengemälde ab. Steinerne Nester bilden die Häusergruppen von Varda, Maison, Mola, Cappelle, Potes und Borgo Vecchia, so eng zusammengebaut, damit mehr kultivierbares, kostbares Land blieb.

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Belle Époque Relikte in den Lanzo-Tälern

Ein ebenfalls sehr spannender Abschnitt der GTA führt durch die Lanzo-Täler, die sich an das Valle dell’Orco anschließen. Zu den Valli di Lanzo gehören das Val Grande, Val di Ala und Valle di Viù. Drei Täler, die parallel zueinander vom Grenzkamm der Grajischen Alpen tief ins Gebirge schneiden und sich nahe dem Städtchen Lanzo Torinese vereinen. Wild und ursprünglich präsentieren sich die Talschlüsse. Nur einen Katzensprung von der piemontesischen Metropole Turin, doch Welten entfernt.

Nicht immer war das so. Zu Zeiten der Belle Époque pulsierte in den Bergdörfern das Leben. Die „bel mondo“, die bessere Gesellschaft aus der Stadt, ließ sich herrschaftliche Villen bauen, um während der Hitzezeit des Jahres in die beliebte Sommerfrische zu ziehen. Alpenpioniere eroberten die Gipfel. Der 1863 gegründete Italienische Alpenverein CAI fand im zerklüfteten Felsreigen ein reges Betätigungsfeld.

Vor allem das von Turin nur 55 Kilometer entfernte, im Val di Ala gelegene oberste Dorf Balme war ein optimaler Ausgangspunkt. Aus den geländekundigen Einheimischen entwickelten sich ganze Dynastien von Bergführern. Tempi passati. Das einträgliche Führergeschäft im Alpinismus findet längst an den großen Bergen statt und auch die Haute Volée von Turin hat sich anderen Destinationen zugewandt. Immer mehr Einheimische wandern ab. Seit jener glorreichen Zeit verzeichnen die obersten Gemeinden einen Verlust von drei Viertel der Bevölkerung.

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Übernachten auf der GTA

Das Albergo Camussot, dereinst Adresse Nr.1 der Bergsteiger Elite und Prominenz, fand sein Revival als nostalgischer Stützpunkt auf der GTA. Doch im Herbst 2019 wütete ein Brand und es scheint, dass das Gebäude zumindest in nächster Zeit nicht wieder aufgebaut wird. Welch ein Glück, dass Antonella und Guido Rocci, bis 2011 erfolgreiche Bewirtschafter des Camussot, ihre Energie in ein anderes Haus steckten. Sie wurden Eigentümer einer historischen Villa in Cornetti, einem Ortsteil von Balme, und richteten mit viel Liebe Gästezimmer ein. Hinzu kommen eine umfangreiche Bibliothek, ein hübscher Garten und eine Küche, die nicht wenige zu Tränen rührt. Man wollte länger bleiben.

Zwei Top-Adressen auf der GTA:

Rifugio Les Montagnards in Balme-Cornetti, Antonella und Guido Rocci, Tel.  +39 347/363 40 82, info@lesmontagnards.it, www.lesmontagnards.it

Agriturismo La Miando in Didiero, Renata Brunet und Pierluigi Bertalotto, Tel. +39 348/814 53 11 oder +39 339/276 32 15, agriturismolamiando@gmail.com

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Unser Buchtipps – Die GTA zum Nachwandern und Träumen:


Wer den Luxus von Einfachheit, Einsamkeit und fantastischem Essen selbst erleben möchte:
Rother Wanderführer »GTA – Grande Traversata delle Alpi«
– soeben in aktualisierter Neuauflage erschienen!
In 65 Etappen führt die GTA vom Piemont bis ans Mittelmeer – ein einmaliges Erlebnis!
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Zum Anschauen und Schwelgen:
Bildband »GTA – Grande Traversata delle Alpi. Durch die »vergessenen« Täler des Piemont«.
Mit beeindruckenden Aufnahmen und lebendigen Erzählungen geben Iris und Dieter Einblick in einige der schönsten Winkel der Alpen.
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Die Autorin Iris Kürschner

Iris Kürschner ist Alpinjournalistin und -fotografin und rund ums Jahr in den Bergen unterwegs. Die Westalpen und das Piemont liebt sie ganz besonders. Die GTA ist ihr Herzensprojekt. Zusammen mit ihrem Partner, dem Journalisten Dieter Haas, macht sie sich für die sanfte Wiederbelebung der vergessenen Täler des Piemont stark. Immer wieder machen die beiden auf die Herrlichkeit dieser Bergregion aufmerksam: mit Artikeln in Zeitschriften und Magazinen, als Gast in Podcasts und nicht zuletzt durch ihre atemberaubende Multivisions-Show.

Tolle Fotos und spannende Reiseberichte von Iris und Dieter – nicht nur zur GTA – findet Ihr auf ihrer Website: https://www.powerpress.ch/

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Entdeckt gleich hier in unserem Blog-Artikel alle unsere Weitwanderführer auf einen Blick:
»Unsere Weitwanderführer«

Autor

Unsere Autoren schreiben nicht nur Bücher, sondern auch spannende Beiträge für den Rother Wanderglück-Blog. Vielen Dank an die besten Autoren, die es gibt! Vielen Dank, dass ihr so fleißig seid und uns hier auf unserem Wanderglück-Blog tatkräftig unterstützt!

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