Ein Gastbeitrag von Rother-Autor Matthias Schopp.

Im zweiten Teil seines Tourentagebuchs Bolivien nimmt uns Rother-Autor Matthias Schopp mit auf die höchsten Gipfel des Landes. Es geht zum 6.380m hohen Gipfel des “Parinacota”, weiter zum schiefrigen Schutthaufen des Cerro Saturno und endet auf 3.635 Metern über dem Meeresspiegel in der größten Salzpfanne der Welt, der “Salar de Uyuni” im Südwesten des Landes. Dabei verrät er uns, ob ihn während seiner Besteigungen die Höhenkrankheit ereilt hat und erzählt uns, wie ihn die “Penitentes” an den Rande der Verzweiflung gebracht haben.


Höhenkrank am “Acotango”, 6.052m

Der Acotango gehört auf dem Papier zu den leichtesten 6000ern der Welt. Von der per Jeep erreichbaren Minenstraße sind es schlappe 750 Höhenmeter zum Gipfel. In den Alpen wäre das eine zweistündige Entspannungstour. Wäre da nicht die große Höhe, auf der man startet. Technisch wird bei den angetroffenen Verhältnissen übrigens durchaus sauberes Steigeisengehen in großer Höhe verlangt.

Mitten in der Nacht juckeln wir mit einem sehr guten Allradfahrzeug (ohne ein solches braucht man gar nicht erst loszufahren) in Richtung Berg. Selbst der lokale Fahrer verfranzt sich einmal, wir sehen keine Chance, das ohne Ortskenntnis zu finden. Die Anfahrtskosten belaufen sich auf 40 Euro pro Person, das kann man für einen 6000er durchaus mal investieren. Während der Fahrt fällt das Thermometer auf -15°C, eine warme Jacke ist also kein Luxus.

An einem Wendeplatz angekommen machen alle Jeeps Halt, und unser Aufstieg beginnt. In einem ausgetrockneten Flussbett führt die Spur auf sehr feiner Vulkanasche in mäßiger Steigung bergan. Um uns herum ist es dunkel und windstill. Beides sollte sich bald ändern. Mit dem Sonnenaufgang erwacht auch der Wind, und es wird empfindlich kalt. Nach einer flacheren Passage leiten unzählige Serpentinen zum Kraterrand empor, wo ich mich – der Höhe sei Dank – vom feinsten übergebe.

Wenige Meter weiter beginnt der Firnteil, heute recht eisig aber mit einer Spur versehen. Das Ziel vor Augen mobilisieren wir nochmal einige Reserven und steigen häppchenweise dem Gipfelglück entgegen. Oben angekommen freuen wir uns über unseren ersten führerlosen 6000er, machen uns jedoch ob der Kälte nach 20 Minuten wieder an den Abstieg. Dieser führt uns auf gleicher Route zurück, inklusive eines abermaligen höhenbedingten Erbrechens. Auch leichte Berge haben eben ihren Preis. Zurück in Sajama sind alle Symptome der Höhenkrankheit wieder verschwunden, und wir gönnen uns einen ausgiebigen Ruhetag mit Besuch der Aguas termales.


Vorbereitungen für den Gipfelsturm

Mit der Besteigung des Acotango schreitet unsere Akklimatisation weiter voran. Einziges Manko: die höchste Übernachtung hatten wir bisher in Sajama, und das liegt nur auf 4240 m. Aus diesem Grund haben wir den Parinacota in zwei Tagen geplant.

Zunächst fahren wir (erneut für kleines Geld) in einer knappen Stunde von Sajama ins Basislager, wo wir die Nacht verbringen möchten. Anschließend wandern wir auf sandiger Spur in Richtung des Sattels zwischen Parinacota und Pomerape. Kurz vor diesem biegen wir links ab und ersteigen in Serpentinen noch einmal 200 Höhenmeter. Eine Gruppe Brasilianer, denen wir auch schon am Acotango begegnet sind, kommt uns entgegen. Alle haben den Gipfel erfolgreich bestiegen. Nach einem kurzen Austausch über die Verhältnisse weiter oben lassen wir die Gipfelstürmer ziehen und ruhen noch etwas in der Höhe aus.

Punkt 1 Uhr erinnert uns der Wecker an unser Vorhaben. Rastlos würgen wir einige Kalorien runter, wissentlich, dass wir sämtliche Energie brauchen werden.

Über die bekannte Route steigen wir äußerst langsam zu jenem Punkt auf, der gestern unsere Umkehr markierte. Ab hier betreten wir Neuland. Wenige Minuten später gehen die offensichtlichen Serpentinen in einen kurzen Blockgrat über. Da wir nur eine Stirnlampe dabei haben, (die andere liegt in La Paz) gestaltet sich die Wegsuche etwas länger, 2 bis 3 Verhauern sei Dank. Mittlerweile wird es jedoch hell, und das Problem der Wegsuche erübrigt sich.


Über Büßereis zum Eisgiganten “Parinacota”, 6.357m

Bald öffnet sich der Blick in die Gipfelregion, obschon noch einige Stunden Arbeit vor uns liegen. Die erste Lektion nennt sich Büßereis, hierzulande Penitentes genannt. Wer es bereits erlebt hat, weiß wovon ich rede. Auf den Bergen in Trockenregionen bilden sich Eisnadeln, die zwei Meter in die Höhe wachsen können. In unserem Fall beträgt die Höhe zwar nur einen halben Meter, das reicht aber aus, um unsere Nerven und unsere Kräfte aufzuzehren, zumal wir uns bereits an der 6000-Meter-Marke befinden.
Einige der Penitentes besitzen gar die Frechheit unter unserem elfengleichen Gewicht zu zerbrechen, was in schöner Regelmäßigkeit zu akustischen Wutausbrüchen führt, insbesondere im Abstieg. Glücklicherweise kann uns dabei niemand hören, denn wir sind völlig alleine am Berg. Dieser Umstand wird uns so richtig bewusst, als wir feststellen, dass wir im Notfall keinen Empfang hätten, um jemanden zu benachrichtigen. Bis auf das Büßereis bleibt der Parinacota heuer aber ein reiner Wanderberg, und so gelangen wir nach quälenden Stunden schließlich zum Kraterrand.

Doch damit nicht genug der Pein, denn den riesigen Teufelsschlund erreichen wir an seinem tiefsten Punkt. Hoch oben krönen einige Felszacken das weite Rund, und dahin schleichen wir nun hinauf. Der erste Kamerad ist der North False Summit, dicht gefolgt vom North Summit. Hier dürfte für die meisten Aspiranten Endstation sein. Beide Vorgipfel werden von uns jedoch überschritten, denn wir wollen noch weiter. Wir gönnen uns natürlich auch noch den Northwest Summit, auch Real Crater Summit genannt, mit 6357 m der höchste Punkt dieses Bilderbuchvulkans. Die Freude ob des erreichten könnte größer kaum sein. Das Gefühl alleine auf einem 6000er zu stehen, ist unbeschreiblich. Um uns herum herrscht absolute Stille, kein Windhauch trübt das Erlebnis.


Der schiefrige Schutthaufen “Cerro Saturno”, 5.006m

Der höchstgelegenen (De facto-) Hauptstadt der Welt sei Dank, kann man sich an einem aktiven Ruhetag locker den einen oder anderen Gipfel gönnen.

Wir entscheiden uns für den Aussichtsberg Cerro Saturno, knapp über 5000 Meter hoch, und recht einfach zu erreichen. Mit den Teleferico-Linien Grün, Himmelblau und Weiß fahren wir zur Plaza Heroes de la Revolution und besteigen ein Taxi, welches uns zum Cumbre Coroico chauffiert. Der wichtige Übergang vom Altiplano in die Yungas liegt bereits auf 4650 Metern. Rasch verabschieden wir uns von den stinkenden Abgasen der unzähligen Busse, Collectivos und LKW und schlendern an einer Lagune entlang auf einer Fahrspur dem Gipfel entgegen. Bereits nach einer guten Stunde ist am Abra Chakura der Ausgangspunkt des sagenumwobenen Choro-Trails erreicht.

Von hier lässt sich in einem gut halbstündigen Abstecher der Cerro Kolini besteigen, wie sein Nachbar Saturno ein schiefriger Schutthaufen, dafür in herrlicher Aussichtslage. Leider unwabern mittlerweile einige Wolken unsere Ziele und dämpfen dem Blick zum Huayna Potosi erheblich. Dennoch lassen wir uns auch den Cerro Saturno nicht entgehen. Dafür folgen wir vom Pass der Pfadspur um einen Vorgipfel herum zu höchsten Punkt.

Per Schuttreißen kürzen wir den ohnehin nicht langen Rückweg noch einmal ab und gelangen rechtzeitig vor dem bestellten Taxi zum Cumbre zurück. In Summe eine einfache und lohnende Halbtagesunternehmung. Leider herrschte an diesem Tag das mit Abstand schlechteste Wetter der gesamten 4 Wochen, es war der einzige Tag mit Niederschlag, wenn auch nur minimal.


Die größte Salzpfanne der Welt

Am Folgetag gönnen wir uns dann wirklich Ruhe und beschließen, die Reise mit einem Roadtrip von Uyuni nach San Pedro de Atacama fortzusetzen. Diesen Trip möchten wir wärmstens weiterempfehlen, führt er die Besucher doch durch eine der spektakulärsten Landschaften der Erde.

Da der Ausgangspunkt Uyuni jedoch als eine der hässlichtsten Städte Boliviens gilt, erfolgt der Auftakt gewöhnlich mit einer Nachtbusfahrt ab La Paz. Nach unvermeidbaren Wartestunden zwischen Busankunft und Beginn der Tour starten wir endlich am späten Vormittag mit der Fahrt zum nahen Eisenbahnfriedhof. Dort rosten ehemalige Stahlrösser vor sich hin, eine spannende Fotokulisse.

Dann geht’s zur Sache, sprich auf den größten Salzsee der Welt. Bevor unsere Jeeps die Salzpfanne befahren, besuchen wir noch ein Dorf am Rand des Sees, wo allerhand touristischer Kleinkram, das meiste wie nicht anders zu erwarten aus Salz, angeboten wird. Spektakulär ist dann die rauschende Fahrt über die blendend weiße Salzkruste. Beim Lunch haben wir die Gelegenheit, die Hexagonalstruktur des Elements genauer zu erkunden.

Höhepunkt des Tages ist der Spaziergang auf der Isla Incahuasi, wo mittlerweile eine Eintrittsgebühr entrichtet werden muss. Zwischen Kakteen und Korallen führt ein sauber angelegter Pfad zum höchsten Gipfelchen. Letzter Punkt des Tages ist eine himmelblaue Lagune im Salz, wo wir in zunehmender Kälte auf den Sonnenuntergang warten. Die Nacht verbringen wir in einer einfachen Unterkunft in San Juan am südlichen Rand des Salar. Wie viele andere Bauten besteht auch unser Hostel aus Salz.


Die kleine Rauchwolke grüßt am Vulkan Ollagüe

Tag zwei startet mit der Fahrt über einen weiteren, jedoch bei weitem nicht so schönen Salzsee hin zu einem Gleis, wo Erzwaggons nach Antofagasta in Chile verkehren. Einst gehörte diese Region zu Bolivien, wurde jedoch von Chile gewaltsam erobert. Bolivien wurde somit zum Binnenstaat.

Am Mirador Ollagüe genießen wir einen prächtigen Blick auf den gleichnamigen Vulkan. Der hochaktive Berg ist meist mit einer kleinen Rauchwolke verziert und daher unverwechselbare Landmarke. Auffällig zu meinem letzten Besuch vor 10 Jahren ist der Umstand, dass überall touristische Infrastruktur entsteht, darunter auch kostenpflichtige Toilettenhäuschen. Dafür ist die Landschaft nun auch verhältnismäßig sauber.

Hinter dem Ollagüe beginnt eine Kette von mehreren Lagunen. In etlichen davon suchen Flamingos nach Nahrung. Wie im Sajama Nationalpark präsentiert sich auch hier ein vollendetes Bild Südamerikas.
Nach dem Lunch führt uns der Weg weiter in die Höhe. Konstant über 4000 Meter bewegen wir uns südwärts. Ein obligatorischer Halt erfolgt am Árbol de Piedra, dem steinernen Baum, der auch das Titelmotiv des überaus hilfreichen Rother Wanderführers “Bolivien” darstellt.

Den Tagesabschluss bildet schließlich die rot schimmernde Laguna Colorado. Wäre da nicht die große Kälte, man möchte sich einfach hinsetzen und dieses surreale Bild genießen. Soviel karge Schönheit, in einem derart verlassenen Winkel der Erde – ehrfürchtiges Staunen am Ende der Welt.


Der letzte Tag in Bolivien

Am letzten Tag brechen wir in aller Herrgottsfrühe auf. Es ist so kalt, dass wir uns in die Klamotten zittern. Oder ist es doch die Holperpiste? Das regelmäßige Anstoßen irgendwelcher Körperteile lenkt von der monotonen Fahrt durch die Dunkelheit ab. Ziel der Aktion ist, dass wir das Geysirfeld Sol de Mañana zum Sonnenaufgang erleben, denn dann sind die Rauschschwaden dank der morgendlichen Kälte am besten zu erkennen.

Weitaus attraktiver ist für uns das anschließende Bad in den Aguas termales, wo uns auch ein Frühstück serviert wird. Einigermaßen aufgetaut machen wir uns durch die Salvador Dali Desert auf zur Laguna Verde zu Füßen des Vulkans Licancabur. Sie markiert bei den klassischen Touren den Umkehrpunkt. Uns zwei chauffiert man jedoch eigens noch zum Hito Cajon, wo wir die Grenze nach Chile überqueren.

Wir verabschieden uns von der Gruppe und beginnen unser nächstes Abenteuer, die Atacamawüste


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Ihr habt Teil 1 des Tourentagebuchs von Matthias Schopp noch nicht gelesen? Dann schnell hier nachholen:

Autor

Katrin ist im Rother Bergverlag als Assistentin im Bereich Marketing tätig und lebt im südbayrischen Isarwinkel. Am liebsten ist sie vor der Haustür im wilden Karwendel auf sportlichen und abwechslungsreichen Touren unterwegs. Als ausgebildete Trainerin führt sie Bergwanderungen für den Deutschen Alpenverein und arbeitet als selbstständige Fotografin. Deshalb ist die Kamera ihr treuester Tourenbegleiter.

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