Ein Gastbeitrag von Rother Autorin Issi Fritsch

Unsere Autorin Issi Fritsch nimmt uns mit auf eine ganz besondere Inselumrundung: In fünf Tagen umwandert sie die fast unbekannte paradiesische Azoren-Insel Santa Maria.

Ganz unaufgeregt geht es durch die Gepäckkontrolle und hinaus aufs Rollfeld von Ponta Delgada, um eine kleine Propellermaschine zu besteigen. Es ist ein bisschen wie Bus fahren: 37 Sitzplätze, die letzte Reihe hat einen Mittelsitz, und der Flugbegleiter könnte auch Schaffner sein. Nur wenige der Mitreisenden sind Touristen, die kleine Azoreninsel Santa Maria ist noch im Dornröschenschlaf.


Die Azoren – weit, weit weg

Die Azoren, den meisten Mitteleuropäern lange Zeit nur aus dem Wetterbericht mit dem ersehnten Azoren-Hoch bekannt, werden seit einigen Jahren als Urlaubsziel immer beliebter. Die Hauptinsel São Miguel, mit ihrer Hauptstadt Ponta Delgada ist erste Station, von hier geht es mit dem Schiff oder eben kleinen Propellermaschinen weiter. Unser Zielort ist Vila do Porto auf Santa Maria. Die verträumte »Hauptstadt«, die aus einer 1,5 km langen Straße, ein paar Gassen und einem kleinen Hafen besteht, ist schnell erkundet. Außer der Jugendherberge gibt es noch ein kleines Hotel, drei Ferienhäuser und zwei Restaurants. Dafür hat es aber eine Bibliothek, ein Museum, mehrere Kirchen und eine ganze Menge sehr altes, gut restauriertes Gemäuer. Im Hafen mischen sich die Taucher, Segler und Surfer, unter Seeleute, die ihre Fischkutter mittags schon vertäut haben.


Die Grande Rota auf Santa Maria

Warum haben wir uns gerade diese kleine, fast unbekannte Insel ausgesucht? Weil sie, obwohl winzig klein, als einzige der neun Inseln des Archipels eine Grande Rota – einen 80 km langen, markierten Fernwanderweg rund um die Insel hat.  Übernachtet werden kann in ehemaligen, einfachen Schäferhütten. Das ist dem Engagement von Ioannis und Rita zuzuschreiben, zwei Weltumseglern, die auf Santa Maria ihren Hafen gefunden hatten. Selbst begeisterte Wanderer, kauften sie vier Scheunen entlang des Weges und bauten sie absolut ökologisch aus. Es gibt Platz für sechs müde Wanderer, fließendes Wasser, 12V-Strom aus einer PV-Anlage, USB-Anschlüsse, um das Mobiltelefon zu laden, bequeme Betten – und Stille. Wer beim Abwasch mit Meerblick allenfalls über die Mäuerchen schaut, sind Kühe. 


Kühe mitten im Atlantik

Kühe sind in den fünf Tagen unserer Inselumrundung sowieso die häufigsten Wegbegleiter. Wanderer treffen wir ganz selten, und selbst auf den  wenigen und kurzen Straßenetappen ist kaum ein Mensch oder Fahrzeug zu entdecken. Das Gefühl ganz weit, weit weg von der Welt zu sein, überkommt uns gleich nachdem wir uns bei Ioannis den Schlüssel für die vier Hütten, gute Tipps (habt die Regenjacke immer griffbereit!) und eine Wanderkarte abgeholt haben. Es sind nur wenige Schritte von seinem Büro nahe der historischen Wehranlage »Forte de São Brás«, und wir sind nur noch ein paar farbige Punkte auf einem grünen Fleck mitten im Atlantik.

Auf den ersten Kilometern bekommen wir Einblick in die geologische Geschichte der Insel. Es geht über Wiesenpfade, vorbei an der Gruta do Figueiral, wo über Jahrhunderte Kalk aus den Höhlen geholt wurde. An den Klippen der Südküste entlang wandern wir gemütliche drei Stunden durch blühende Agavenhänge, um nach einem steilen Abstieg auf einem abenteuerlichen Pfad zum breiten Sandstrand von Praia Formosa zu kommen. Der weiche Sand lädt geradezu ein, die Wanderstiefel gegen den Badeanzug zu tauschen und ein erfrischendes Bad zu nehmen. Danach ist der Anstieg nach Malbusca auf einem alten Saumweg ein Kinderspiel. Oben angekommen, wartet das erste Häuschen und unser Abendessen auf uns: ein kräftiger Gemüseeintopf, von Rita zubereitet, frisches Brot und eine Flasche Wein, von Ioannis hergebracht. Der Blick aufs Meer schweift über die sanften Hügel, denen die inseltypischen, weißen Schornsteine ein malerisches Bild verleihen.


Inselparadies für Naturliebhaber

Die Azoren liegen mitten im Atlantischen Ozean zwischen Portugal im Osten und Nordamerika im Westen. Im Norden liegt irgendwo Grönland, im Süden kommt irgendwann die Antarktis. Weit weg von jeder Festlandküste und nur vier Gehstunden vom einzigen größeren Ort der Insel entfernt, sind wir hier in einer anderen Welt.

Wir wandern am zweiten Tag über Weiden und Steppe, über Hügel und durch Bäche. Mit jedem Kilometer ändert sich die Landschaft. Vom ehemaligen Walbeobachtungsposten wandert der Blick über die Weiten des Atlantiks. Nach der  beeindruckenden Basaltsteinorgel in der Ribeira do Maloás warten schon die nächsten Highlights: der Leuchtturm und die Weinterrassen von Maia. Der kleine Badeort selbst ist noch in Vorbereitung für die kurze Sommersaison: alles geschlossen! Auf engen Treppenwegen steigen wir am Ende der Bucht zur Steilwand hinauf. Und weiter auf einem exponierten Weg zum Wasserfall »Cascata do Aveiro«. Fast weglos über duftende Wiesen erreichen wir in Lapa unsere Hütte, versteckt zwischen Hecken mit einer Nachbarschaft von Fröschen, Grillen und einer bunten Vogelschar.


Azorenhoch! Es grünt, so grün …

Nach dem reichhaltigen Frühstück, das wir wie jeden Morgen aus der Kühlbox holen können, erwartet uns am dritten Tag die azorische Wetterküche. Das leichte Nieseln geht in richtigen Regen über und begleitet uns bis zur Bucht von São Lourenço. Da passt es doch gut, dass das einzige Restaurant am Ort geöffnet hat. Wir lassen uns die Spezialität des Hauses, Tunfisch á Ponta Negra, empfehlen und genießen die lange Mittagspause. Der Regen hört auf, und weiter geht es auf einem Stairway to Heaven extrem steil bergauf, wieder in die Wolken hinein. Wir denken schon an einen Shortcut als es aufreißt.

Wie schön, wir hätten wirklich was verpasst, ohne dem Farolim do Norte, am Nordkap von Santa Maria einen Besuch abzustatten. Ich denke, es ist der kleinste Leuchtturm, den ich je besucht habe. Zur dahinter liegenden Bucht geht es, wie so oft, mitten durch eine Kuhherde, die diesmal aber kräftig in Bewegung kommt und uns einen ziemlichen Schrecken einjagt. Am späten Nachmittag erreichen wir unsere Hütte, wieder an einem Traumplatz hoch über der Bucht Baia do Tagarete.


Kein Gipfelglück am Pico Alto

Der vierte Tag ist Gipfeltag. Und die Wolken sitzen morgens tief. Es lohnt sich manchmal ein Stündchen zu warten und schon schiebt sich die Sonne wieder durch. Wir steigen zurück ins Inselinnere und nehmen die Direttissima durch den Wald zum Pico Alto, mit seinen 567 m die höchste Erhebung. Das Regenwald-Feeling wird noch echter als es oben richtig anfängt zu plattern. Aus dem tollen Blick über die ganze Insel wird leider nichts , doch der Abstieg durch den Sitka-Tannenwald mit seinem üppigen Unterwuchs aus Girlandenblumen entschädigt allemal.  Unser letzter Abend auf der Grande Rota beschert uns einen Sonnenuntergang der Extraklasse.


Weitwandern auf Santa Maria

Obwohl Santa Maria winzig ist – 10 km an der breitesten und 13 km an der längsten Seite – ist sie eine vollkommene Welt. Strände, Klippen, Wälder, Wiesen, Flüsse, Berge, Höhlen, Wasserfälle – das alles ist uns in den letzten vier Tagen schon begegnet. Am letzten Tag dominieren Wüste und Steppe, alles im Miniaturformat. Nach dem Durchqueren der Deserto Vermelho, das an das australische Outback erinnert, wandern wir an der Nordküste entlang zur Baia dos Anjos. Dann beginnt der lange Marsch durch eine trockene Steppe zurück in den Süden. Und wundern uns nicht mehr, dass es Menschen gibt, die beschließen für immer hier zu bleiben.

Wer jetzt auf den Geschmack gekommen ist, findet hier alle wichtigen Informationen zur
Grande Rota auf Santa Maria.


Unsere Autorin

Issi Fritsch ist eine leidenschaftliche Wanderin und die Insel Madeira hat es ihr ganz besonders angetan. Seit 2011 erkundet sie mit ihrem Mann das Paradies im Atlantik, und ihre besondere Liebe gilt dort den Streifzügen durch die Stille des subtropischen Lorbeerwalds. Das einzigartige Wegenetz der Insel konnte sie sich über die Begegnung mit einheimischen Wandergruppen und ortskundigen Führern nach und nach erschließen. Seit 2018 ist sie Mitglied im Verein zum Erhalt der königlichen Wege Madeiras und teilt ihr Wissen und ihre Erfahrungen seit einigen Jahren auf ihrem Blog und in Büchern.

Im November 2023 ist bei uns im Rother Bergverlag ihr neuestes Buch »Wilde Wege Madeira« erschienen.


Buchtipp: Rother Wanderführer »Azoren«

Bislang vom Massentourismus verschont, sind die Azoren ein Paradies für Naturliebhaber und Individualisten mit vielfältigen Wandermöglichkeiten. Der Rother Wanderführer »Azoren« hält insgesamt 86 ausgewählte Touren auf allen neun Inseln bereit. Jede Tour enthält einen Überblick über die wichtigsten Fakten, präzise Wegbeschreibungen, Kartenausschnitte mit eingezeichnetem Routenverlauf und aussagekräftige Höhenprofile; zudem stehen GPS-Tracks zum Download zur Verfügung. So wird der Wanderurlaub auf den Azoren zu einem unvergesslichen Erlebnis



Weitere Artikel zu paradiesischen Wanderzielen gibt es hier:

Autor

Unsere Autoren schreiben nicht nur Bücher, sondern auch spannende Beiträge für den Rother Wanderglück-Blog. Vielen Dank an die besten Autoren, die es gibt! Vielen Dank, dass ihr so fleißig seid und uns hier auf unserem Wanderglück-Blog tatkräftig unterstützt!

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