Ein Gastbeitrag von Autorin Verena Schmidt.

Eine 13-Jährige, die nicht wandern mag.
Eine junge Mutter, die unbedingt raus muss.
Und die Kanadischen Rocky Mountains, an denen beide wachsen.

Verena Schmidt und ihre Tochter Analena waren als Mutter-Tochter Team einen Sommer lang in den Kanadischen Rocky Mountains unterwegs. Es war eine abenteuerliche Reise in eine unbekannte Wildnis, ein Sommer voller Wanderungen und voller Freiheit. Doch nicht immer klappte alles wie geplant. Lest hier Verenas Geschichte eines Scheiterns – und warum es trotzdem ein grandioser Tag wurde

Am letzten Tag unseres sonnigen Sommers in den Kanadischen Rocky Mountains ließen wir den Gipfel links liegen. Das war so nicht geplant. Am Tag nach Analenas 14. Geburtstag wollten wir noch dem Tipp eines kanadischen Freundes folgen und den Cirque Peak (2993 m) im Banff Nationalpark besteigen. Der felsige Gipfel liegt etwa zwei Wanderstunden vom weltberühmten Icefields-Parkway entfernt, der Jasper und Banff durch eine gletscherreiche Landschaft miteinander verbindet. Die meisten ausländischen Reisenden drehen jedoch in Bewunderung des gegenüberliegenden Bow Lakes dem panoramareichen Aussichtsgipfel den Rücken zu. Wir wollten hinauf!

Langsamer Start am spektakulären Icefields Parkway

Doch es kam anders als wir dachten: verspiegelt, malerisch und vollkommen einsam. Was war passiert? Bei einer 14. Geburtstagsfeier wird gefeiert. Auch, wenn Mutter und Tochter in Kanada im Auto auf Vorder- und Rücksitz übernachten. Folglich begann der nächste Morgen schwerfällig, mit quietschenden Gliedern und matten Muskeln.

Der Aufstieg zum Aussichtspunkt mit Blick auf den jenseits des Icefield Parkways liegenden Crowfoot Glacier forderte unsere ganze Puste. Die Windungen des Trails im seltenen Weißtannenwald zogen sich wie zerlaufender Käse dahin. Die Steinwüste eines längst vergangenen Steinschlages forderte unsere ganze Balance. Die farbenprächtigen Wildblumenwiesen drangen nur sachte an unser Gemüt. Bis er endlich vor uns lag: der sich im Helen Lake spiegelnde, weißgold schimmernde Gipfel im Herzen der Kanadischen Rocky Mountains.

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Treue Gefährten & Bergregeln retten Leib & Leben

Nun eingewandert, weckte das Ziel vor Augen schlagartig die Motivation – bei mir. Die letzte Anstiegsstufe ward rasch erklommen – von mir. Meine tapfere und stets tatkräftige Begleiterin sah jedoch überhaupt nicht begeistert aus. Zum Glück.

  1. Nach mehreren Monaten unterwegs waren wir ausgezehrt, nach der gestrigen Feier nicht ganz fit. (physische Konstitution)
  2. Die Sonne knallte Anfang September völlig unerwartet in Westkanada mit heißen Temperaturen vom Himmel, während wir im Jahr zuvor eingeschneit wurden. (Witterung)
  3. Die Trekkingstöcke lagen noch im Auto am Icefields Parkway. Wir hatten sie vergessen. (Material)
  4. Motiviert und mental willentlich waren nur 50% des Teams. (mentale Konstitution)

Von verschiedenen Sicherheitstrainings weiß ich: Wenn ein wichtiges oder mehrere geringere Kriterien nicht erfüllt ist bzw. sind, wird abgebrochen. Sich zu verausgaben, um entweder erschöpft oder verletzt von der Bergrettung evakuiert werden zu müssen, ist keine Option. Gar keine. Weder am ersten noch am letzten Tag. Weder in den Alpen, den Kanadischen Rocky Mountains oder sonst wo auf der Welt. Ich kannte unsere Grenze. Ich wollte sie nicht wahrhaben.

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Wie aus einem verlorenen Gipfel ein eindrucksvoller Tag wurde

Doch schließlich sollte daraus eine Tour im Rother Wanderführer »Kanadische Rocky Mountains« werden!
Ohne Gipfel? Schlussendlich: ja. Wir haben uns die Landkarte angeschaut und gemeinsam beschlossen: Der nächste spannende und für uns machbare Punkt wird erkundet: der Dolomite Pass (2400 m). Gesagt, getan. Kurz nachdem wir ins flache Tal abstiegen, umhüllte uns die karge Steppenlandschaft der Hochebene. Plötzlich waren wir wirklich allein in Kanada. Ein Murmeltier und Wasseramseln kreuzten unseren Pfad. Am sich kräuselnden Katherine Lake erhob sich vor unseren Augen auf einmal eine eindrucksvolle Bergsilhouette und am Dolomite Pass lunschte eine Minigletscherzunge ums Eck. Diese Stimmung beeindruckte uns sehr.

Nach einer stärkenden Rast am türkisfarbenen Hufspurensee des Dolomite Pass schlenderten wir frohgemut zum Parkplatz am Icefields Parkway zurück – unseren letzten Sonnentag in den Kanadischen Rocky Mountains genießend.

Wir hatten zwar einen Gipfel verloren, aber einen eindrucksvollen Tag gewonnen. Tour Nummer 40 im Wanderführer? Der Gipfel ist nun eine Option. Der Pass ist das Ziel!

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Buchtipp: Rother Wanderführer »Kanadische Rocky Mountains«

Gigantische Berge, tiefblaue Seen und endlose Wälder – die Kanadischen Rocky Mountains faszinieren. Nur punktuell ist die raue Gebirgskette von Menschenhand berührt. Verena beschreibt in ihrem Wanderführer atemberaubende Touren, die die wilden Rockies strukturiert erwandern lassen. Mit diesen 55 Mehrtagestouren und Tageswanderungen erlebt Ihr die einzigartige Natur Westkanadas – und natürlich erhaltet Ihr zahlreiche Tipps zur Planung und zur Ausrüstung.

Mehr zum Buch!

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Autorin und Abenteurerin

Verena Schmidt war zehn Jahre lang als Studien- und Wanderreiseleiterin in Nordamerika, Asien und Neuseeland unterwegs. Insbesondere Kanada hat sie auf ihren Reisen schätzen und lieben gelernt. Ihre Begeisterung für die Touren-Vielfalt findet Ihr in ihrem Rother Wanderführer »Kanadische Rocky Mountains« wieder.

Mittlerweile arbeitet Verena in der Sektion Schwaben des Deutschen Alpenvereins und schreibt auf ihrem Blog starliteandwild.de über die spektakulären Naturwunder Westkanadas. Sie erkundschaftet außerdem neue Touren für den Rother Bergverlag. Demnächst erscheint von Verena der Rother Wanderführer »Malerweg und Dichter-Musiker-Maler-Weg«.

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Trefft Verena auf Vortrags-Tournee:

Ihr möchtet mehr über einen Wander-Urlaub in den Kanadischen Rocky Mountains erfahren? Ihr wollt wissen, wie man ein solches Unternehmen plant, welche Ausrüstung Ihr benötigt und wie Ihr Euch gegen Bären und Mücken schützt? Und Ihr seid interessiert, welche Abenteuer Verena und ihre Tochter erlebt haben? Verena ist von Januar bis März auf Vortragstournee. Die Termine findet Ihr auf ihrem Blog starliteandwild.de/events.

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Autor

Unsere Autoren schreiben nicht nur Bücher, sondern auch spannende Beiträge für den Rother Wanderglück-Blog. Vielen Dank an die besten Autoren, die es gibt! Vielen Dank, dass ihr so fleißig seid und uns hier auf unserem Wanderglück-Blog tatkräftig unterstützt!

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